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Dr. Bernhard Martin: Staat, Demokratie und die wirkliche Macht hinter den Kulissen

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Lesezeit:3 Minute, 8 Sekunde

Im Reiner Wein-Interview spricht Gastgeber Gunther Sosna mit Dr. Bernhard Martin, Mediensoziologe, Elitenforscher, Europajournalist und regelmäßiger Kommentator des öffentlichen Geschehens in Österreich.

Rechtspositivistisch gesehen sei ein Staat ein durch Gesetze erklärtes Gebilde, das von Institutionen getragen wird und zur Willensbildung der Herrschenden beiträgt, definiert Martin. Soziologisch betrachtet wäre die Gesellschaft aber dem Staat übergeordnet: die Kultur der Gesellschaft sei die Grundlage, wie der Staat aufgebaut ist. Je nachdem würden demokratische, aristokratische oder auch diktatorische Gemeinschaften entstehen.

Dr. Bernhard Martin – Staat, Demokratie und die wirkliche Macht hinter den Kulissen (Quelle: Idealism Prevails/YouTube)

Die Vierte Industrielle Revolution, die sogenannte Digitalisierung, hat die Gesellschaft und ihre Verhältnisse allumfassend verändert. Ein Status quo sei schwer zu finden, sagt Martin. Weiterhin sei eine Transformation im Gange. Für Martin ist die oft propagierte Postmoderne, die davon ausgeht, dass die Moderne vorbei ist, keine passende Beschreibung des gegenwärtigen Gesellschaftszustands. Denn wir haben es laut Martin nie geschafft, die Moderne zu erreichen, die geprägt ist von idealen demokratischen Zuständen. Wir sollten uns daher vielmehr an einer idealen Gesellschaftsform „reorientieren“, wie sie in den 1960ern herbeigesehnt wurde.

Die gesellschaftliche Bewusstlosigkeit

Für den Studentenführer Rudi Dutschke, der von der Frankfurter Schule um Adorno und Horkheimer geprägt war, war Revolution nur in einem langen Prozess möglich. Es galt zuerst, die gesamtgesellschaftliche Bewusstlosigkeit zu überwinden. Diese herrscht auch heutzutage weiter vor, sagt Bernhard Martin. Sie ist sogar schlimmer geworden: Er bezeichnet die Gesellschaft in seinen Ausführungen als komatös. Weder die Studentenrevolten der 1960er-Jahre noch der Linksterror der 1970er haben einen Beitrag zur Lösung der Bewusstlosigkeit gebracht.

Gunther Sosna, Gastgeber, Reiner Wein Politischer Podcast aus Wien

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Herzlichen Dank, Ihr Gunther Sosna

Immer schon ging es politisch um den Schutz des Kapitals und nicht jenen der Demokratie, bei der es sich um eine bloße Fassadendemokratie handelt. Ein Hauptproblem wäre außerdem, dass auch nach den großen Kriegen immer noch dieselben Menschen bzw. Eliten an der Macht seien und die sogenannte Entnazifizierung tatsächlich kaum stattgefunden hat. Die Macht im Staat liegt beim Militär und bei den Geheimdiensten, sagt Martin, die sowohl für Informationsbeschaffung als auch für Desinformation zuständig sind.

Die beginnend mit dem Kalten Krieg geführten Stellvertreterkriege seien bis heute zu erkennen. Der Krieg in der Ukraine wäre aber nicht mehr ideologisch – zwischen Kapitalismus und Kommunismus, – sondern machtpolitisch geprägt. Die Chance eines „dritten Wegs“ zwischen den beiden großen Machtblöcken, bei dem europäische Werte im Mittelpunkt stehen, ist mittlerweile vertan, weil in der Europäischen Union Wirtschaft und Währung im Vordergrund stehen anstatt kulturelle und soziale Aspekte. Nach Beendigung des Ukraine-Konflikts sollten die nötigen Lehren gezogen und der neuerliche Versuch zur Bildung eines politisch und kulturell eigenen Gebildes gestartet werden.

Wirtschaft bestimmt Politisches

Für Martin ist die Kulturgeschichte wie ein Supertanker, der nachhaltige Strukturen hat. Es werden immer wieder die gleichen Fehler gemacht. Effizienzgewinne sind nur im wirtschaftlichen, aber nicht im sozialen Bereich zu sehen. Familienverbände, Clans und Dynastien prägen nach wie vor die Kultur und die Gesellschaft. Verfallsprozesse führen zu keiner Neuerung. Kapital und Wirtschaft prägen ein Mehr vom Selben. Wirtschaft bestimmt Politisches.

Martin sieht weder in der KI noch in einer Stadtflucht Chancen, die zu einer positiven Veränderung beitragen können. Er rechnet vielmehr mit einer Art neuem „Vormärz“, geprägt von einem Rückzug ins Private. Man könne bloß drauf hoffen, dass sich die wirtschaftlichen Prozesse entschleunigen und es keinen großen Krieg als Basis für einen Neustart braucht, so sein Resümee. Abschließend plädiert er für die Aufrechterhaltung der analogen Kulturtechniken.

Über den Gast

Dr. Bernhard Martin Foto Privat

Dr. Bernhard Martin (Jahrgang 1966) ist akademisch ausgebildeter Europa-Journalist in Wien. Als unabhängiger Mediensoziologe analysiert und kommentiert er seit 2010 für das Fachmagazin soziologie heute als „Public Observer“ das öffentliche Geschehen.

Über den Autor

Redaktion

Redaktion von "Reiner Wein", dem politischen Podcast aus Wien.
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