Der dritte Teil von „Reiner Wein Spezial“ mit dem Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Heinz-Josef Bontrup beschränkt sich nicht auf die Analyse der ökonomischen Verhältnisse und die Beschreibung des Status quo, sondern zeigt eine schon lange eingeleitete gigantische Umverteilung von unten nach oben auf, die nun auch in Europa immer deutlichere Spuren hinterlässt.
Sie ist gekennzeichnet von massiver Unterbeschäftigung, Erwerbsarbeitslosigkeit, Altersarmut, Perspektivlosigkeit und Resignation schon bei den Jugendlichen. Die Gesellschaften drohen an den sozialen Widersprüchen zu zerbrechen. Um dies zu verhindern, bedarf es einer Demokratisierung der Wirtschaft.
Umverteilung von unten nach oben
Prof. Bontrup erklärt, dass der Shareholder Kapitalismus ein (relativ neues) Paradigma sei, das nicht mehr nach der Befriedung der gesamten Gesellschaft trachtet, sondern ausschließlich nach jener des Eigentümers – mit maximaler Profitrate. Seit der Wiedervereinigung wurden etwa 1,4 Billionen Euro von den abhängig Beschäftigten in Deutschland hin zu den Kapitaleignern umverteilt.
Diese gigantische Umverteilung von unten nach oben ist staatlich gestützt und wird nun auf die Spitze getrieben. Die damit einhergehende Verelendung nimmt auch im wohlhabenden Europa zu; die Menschen wenden sich enttäuscht von der Politik ab, wandern ins Lager der Nichtwähler oder wählen extremistische Parteien – nicht nur darin lauert eine große Gefahr für die Demokratie.
Im Würgegriff des Kapitals
Der parteipolitische Raum befindet sich im Gleichklang. Aktuell sitzt im Deutschen Bundestag keine Partei, die das Primat des Kapitalismus herausfordert. Dies habe laut Heinz-J. Bontrup damit zu tun, dass Politik „die Ordnung der Dinge“ gar nicht mehr hinterfragt, denn sie ist (wie alle anderen) vom Kapital abhängig: Der Staat finanziert sich über die Steuern, die die Wirtschaft bezahlt. Daher sei es letztlich auch egal, welche Partei „unter dem Kapital“ regiert, weil alle unter der Kontrolle der Finanzmärkte stehen, wie Bundesbankpräsident Hans Tietmeyer schon 1996 in Davos anmerkte.
Auch im Kampf gegen den Klimawandel wird sich das Kapital solange gegen Veränderungen wehren, solange ihm dadurch Profitraten wegbrechen. Die einzige Chance, sich aus dem Würgegriff des Kapitals zu befreien, sieht Prof. Bontrup in der Demokratisierung der Wirtschaft.
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Herzlichen Dank, Ihr Gunther Sosna
Sein großes Vorbild, der Ökonom Erich Preiser (1900 bis 1967), hätte zurecht festgestellt, dass derjenige, der die (Netto)Investitionen in die Wirtschaft kontrolliert, auch alle anderen Bereiche des Lebens bestimmt: also der Kapitalist. Diese Investitionsfunktion sei im Kapitalismus systemimmanent und kann bestenfalls abgeschwächt werden (wie nach dem Zweiten Weltkrieg).
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Wachstumsindiz heranzuziehen ist laut Bontrup Schwachsinn. Denn eine Nationalökonomie wächst nur, wenn Nettoinvestitionen generiert werden; alles andere sei Verbrauch. Im BIP ist der Konsum enthalten, der habe aber nichts mit Wirtschaftswachstum zu tun.
Auch Umsatzsteigerungen sagen nichts über die Vitalität eines Unternehmens aus. Der britische Ökonom John Maynard Keynes (1883 bis 1946) habe diesen Umstand zwar richtig erkannt, aber eine falsche Schlussfolgerung gezogen: Keynes empfahl, wenn der Kapitalist seine Nettoinvestitionen aufgrund ausbleibender Profiterwartungen einstellt, dass der Staat die Rolle übernehmen müsse, um Krisen abzuwehren. Doch dieses Vorgehen hält den Kapitalismus nur noch länger am Leben, ohne notwendige Veränderungen des Wirtschaftssystems zuzulassen.
Fehlende Solidarität unter den Arbeitern
Die Ohnmacht der Gewerkschaften lässt sich daran ablesen, dass sie es seit langer Zeit nicht einmal mehr schafft, die jährliche Produktivitätssteigerung plus die Preissteigerungsrate für ihre Mitglieder zu erstreiten, wodurch die Umverteilung von unten nach oben wächst. Nur noch 50 % der deutschen Arbeitsverträge werden über Tarifverträge entlohnt – entsprechend schwindet die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften. Hinzu kommt, dass es in manchen Unternehmen mehrere Gewerkschaften gibt, die sich gegenseitig förmlich bekriegen.
Die fehlende Solidarität der Arbeitnehmer, die unüberwindbaren Hierarchien in den Unternehmen, der Umstand, dass man die tatsächlichen Eigentümer großer Kapitalgesellschaften gar nicht mehr kennt und die weltweit wieder einsetzenden Arbeitskämpfe wie zum Beispiel in Chile, die sich allerdings an die falschen Adressen wenden, sowie die zunehmenden weltweiten Fluchtbewegungen auf Grund ökonomischer und ökologischer Verwerfungen sind weitere Themen bei „Reiner Wein Spezial“.
Das Gespräch endet mit einer Botschaft, an das eine Prozent, das im Überfluss lebt und vor lauter Langeweile nicht mehr weiß, was es machen soll: Hört auf, sonst erstickt ihr an eurem Reichtum.
Über unseren Gast
Prof. Dr. Heinz-Josef Bontrup (Jahrgang 1954) ist Wirtschaftswissenschaftler und Publizist. Er hat über 50 Bücher veröffentlicht, darunter Titel wie zum Beispiel „Arbeit, Kapital und Staat. Plädoyer für eine demokratische Wirtschaft“ oder „Wirtschaftsdemokratie. Alternative zum Shareholder-Kapitalismus“, in denen Aspekte des global herrschenden ökonomischen Systems einer kritischen Analyse unterzogen werden. Prof. Bontrup, der für sein Engagement mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet wurde, tritt für eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich ein, um wieder mehr soziale Gerechtigkeit herzustellen und eine der Hauptquellen der Finanzspekulationen und Finanzkrisen auszutrocknen. Deren Ursache ist in den stark gesunkenen Lohnquoten der letzten Jahrzehnte zu finden. Prof. Bontrup ist Mitverfasser und Herausgeber der jährlichen Memoranden der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik und deren Sprecher. Außerdem veröffentlicht er regelmäßig Gastbeiträge in der Frankfurter Rundschau. 2019 hielt er an der Westfälischen Hochschule eine vielbeachtete Abschiedsvorlesung.
Fotos und Video: Reiner Wein, Idealism Previals und Heinz-J. Bontrup
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