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Reinhard Jesionek: Warum wir eine Medienrevolution brauchen!

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Lesezeit:5 Minute, 18 Sekunde

Gast bei Reiner Wein, dem politischen Podcast aus Wien, ist der frühere ORF-Moderator Reinhard Jesionek. In seiner 37-jährigen Berufslaufbahn erlebte er die Metamorphose des Fernsehsektors, angefangen vom Monopol des Staatssenders ORF bis zur heutigen Kommerzialisierung mit zahlreichen Privatsendern.

Jesionek erinnert sich an die Anfänge seiner Karriere: In den 1980ern sei die journalistische Qualität noch sehr streng überprüft worden, sowohl was die Recherche betraf, als auch die ORF-Bediensteten selbst und ihre Ausdrucksweise. Die Bevölkerung, die mit dem Staatsfernsehen aufgewachsen sei, würde diese Qualitätsmerkmale bis heute als gegeben annehmen, obwohl es nach Jesioneks Erfahrung schon längst nicht mehr so wäre – jedenfalls wenn es um die verbreiteten Nachrichten und die Recherche, die dahinter steht, geht.

Reinhard Jesionek: Warum wir eine Medienrevolution brauchen (Quelle: Idealism Prevails/YouTube)

Auch wenn die Fernsehanstalt ORF in den 1980ern streng hierarchisch organisiert war, wurden kritische Stimmen dennoch wesentlich mehr geschätzt als in der Gegenwart. Heute würde man seinen Job riskieren, wenn man sich entgegen des jeweils gültigen Narrativ äußert. „Fernsehen verbreitet heute Meinungen“.

Parteibuch statt Qualifikation

Ein Aspekt hat sich nicht geändert: Damals wie heute beinhaltet die politische Besetzung des ORF ab dem mittleren Management aufwärts das Problem, dass nicht nach Qualifikation, sondern nach Parteibuch besetzt wird. Früher war es aber zumindest noch so, meint Reinhard Jesionek, dass die betroffenen Personen aus ihrem Selbstverständnis heraus der journalistischen Ethik verschrieben waren. Heute hingegen werde fast nur noch nach Gesinnung agiert. Diese Entwicklung begann etwa mit der Jahrtausendwende.

Die oft propagierte Entpolitisierung des ORF sei eine völlige Illusion, der Stiftungsrat werde weiterhin vom Parlament im Proporzsystem beschickt. Interessant sei auch, dass kein einziges Mitglied des Stiftungsrates, der immerhin über das Programm bestimmt, eine Affinität zu Medien hat.

Gunther Sosna, Gastgeber, Reiner Wein Politischer Podcast aus Wien

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Der Großteil der Mitarbeiter des ORF ist über 40 Jahre alt und hat lukrative Arbeitsverträge aus alten Zeiten. Entsprechend sind die Handlungsmöglichkeiten dieser Leute sehr eingeschränkt, wenn sie nicht ihren Status riskieren wollen. Eine mediale Revolution sei daher nicht zu erwarten, sondern das Gegenteil: Anpassung.

Geld, Geld, Geld …

Der ORF lukriert pro Jahr etwa eine Milliarde Euro Umsatz. Davon sind rund 643 Millionen GIS-Gebühren (1), 219 Millionen kommen aus Werbeeinnahmen und der Rest sind „sonstige Einnahmen“, die zu einem guten Teil auf offenes und verdecktes Product Placement zurückzuführen sind. Diese Art Deals hat Folgen. Jesionek erinnert sich an die Intervention von Mobilfunkbetreibern, die so weit ging, dass aus einem seiner Beiträge, in dem der Mobilfunkstandard 5G Thema war, eine kritische Stimme herausgeschnitten werden sollte. Diese Wünsche werden nicht selten erfüllt, schließlich will man potente Geldgeber nicht vergrämen.

Die aktuelle Berichterstattung über die Coronapandemie sieht Jesionek angesichts der massenhaften Geldflüsse von der Regierung Richtung Medien (2, 3) sehr kritisch: es werde nur noch eine Position beziehungsweise ein Narrativ in allen Sendungen verbreitet. Kritik sei unerwünscht, eine ausgewogene Berichterstattung findet nicht mehr statt. Dabei werden keine vorsätzlichen Lügen präsentiert, sondern es würden bestimme Informationen ausgelassen.

Weitere Themen der Sendung sind die auffallend geringe Zahl an Experten, die man praktisch täglich wiederkehrend im Fernsehen sehen würde, die aber nicht immer eine tatsächliche Expertise im aktuellen Thema aufweisen können. Außerdem der Verfall des kritischen und auch wissenschaftlichen Diskurses (es gibt nur noch die eine Wahrheit), Framing (4), die Generierung von Wahrheit durch ständige Wiederholung und die Gefahr, auf die andere „Wahrheit“ aus dem Internet reinzufallen.

Quellen und Anmerkungen

(1) Die Gebühren Info Service GmbH (kurz GIS) ) ist seit 1998 mit der Einbringung und Abrechnung der Rundfunkgebühr in Österreich beauftragt. Sie vollzieht damit das Rundfunkgebührengesetz und unterliegt diesbezüglich den Weisungen des Bundesministers für Finanzen. Ursprünglich handelte es sich bei dem Unternehmen um eine hundertprozentige Tochter der Post und Telekom Austria.

In einer Presseaussendung der Telekom Austria vom 30. Oktober 1998 heißt es: „(…) Die Gesellschaft ist damit für Erteilung und Widerruf von Rundfunk- und Fernsehbewilligungen, für die Einhebung der Rundfunkgebühren und Programmentgelte und für die Ausforschung unbefugt errichteter und betriebener Rundfunk- und Fernsehanlagen zuständig.“ Die Presseaussendung ist auf https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_19981030_OTS0246/gebuehreninkasso-service-gmbh-nimmt-taetigkeit-auf verfügbar (Link abgerufen am 22.12.2021).

Das neue Rundfunkgebührengesetz von 1999 ermöglichte es dem ORF, sich mit 50 % an der GIS zu beteiligen. Seit Anfang 2001 ist die GIS eine hundertprozentige Tochter des ORF. Da die ursprüngliche Firma Gebühreninkasso Service GmbH hervorhob, dass die GIS ein Inkassobüro ist, wurde der Name im Mai 2000 zum heutigen Namen geändert, der ein Dienstleistungsunternehmen suggerieren soll, das informiert und nicht kontrolliert. Die hat GIS gleichzeitig behördliche Vollmachten und kann Bescheide in erster Instanz ausstellen.

(2) Kontrast.at (15. April 2020): Corona-Sonder-Medienförderung: Erhalten kritische Medien weniger Hilfe? Auf https://kontrast.at/medienfoerderung-pressefoerderung-corona-oesterreich (abgerufen am 22.12.2021).

(3) Wiener Zeitung (18.10.2021): Medienförderung: Kommunikationsexperte fordert Totalreform. Auf https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/medien/2124848-Medienfoerderung-Kommunikationswissenschafter-fordert-Totalreform.html (abgerufen am 22.12.2021).

(4) Der Begriff Framing steht für den meist bewusst gesteuerten Prozess einer Einbettung von Ereignissen und Themen in Deutungsraster anhand konstruierter Narrative beziehungsweise Erzählmuster. Komplexe Informationen werden dadurch selektiert und strukturiert aufbereitet, sodass eine bestimmte Problemdefinition, Ursachenzuschreibung, moralische Bewertung und/oder Handlungsempfehlung im Sinne des Framing-Erstellers in der jeweiligen Thematik betont wird.

Über unseren Gast

Reiner Wein Politischer Podcast Gast Reinhard Jesionek

Reinhard Jesionek (Jahrgang 1964) ist TV-Moderator und Dozent für Medien und Kommunikationstechniken. Er begann seine Laufbahn im Journalismus Anfang der 1980er-Jahre als Nachrichtenredakteur und Sprecher bei RADIO LIGNANO. Außerdem war er als Moderator bei Ö3 tätig und als Regisseur und Redakteur bei TELE UNO, dem ersten Privatfernsehprojekt in Österreich. schrieb Drehbücher, war Darsteller und Schauspieler und hatte Gastauftritte beim Kabarett und auf Kleinbühnen.

Von 1995 bis 2001 war Reinhard Jesionek beim ORF Live-Präsentator der Infotainmentshow WILLKOMMEN ÖSTERREICH und von 2008 bis 2021 des Infotainment-Magazins WINTER- FRÜHLINGS- SOMMER- HERBSTZEIT. Bei SERVUS TV moderierte er die Sendung Bundesländermagazin. 2000 wurde er als beliebtester Magazinmoderator mit dem österreichischen Film- und Fernsehpreis „Romy“ ausgezeichnet.

2021 startete er das Projekt „Willkommen Digital“ (www.willkommen-digital.at), eine Plattform, die Menschen und Ideen vernetzen soll, um Zukunft und Gesellschaft positiv zu gestalten.

Fotos und Video: Reiner Wein, Sender.fm und Idealism Previals

Über den Autor

Redaktion

Redaktion von "Reiner Wein", dem politischen Podcast aus Wien.
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